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Rubinrote Flasche mit Chinoiserien
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Die aus Rubinglas geschliffene Flasche weist eine geschwungene Balusterform auf. Ein Stöpsel in Zwiebelkuppelform schließt die Flasche und betont das orientalisch inspirierte Aussehen. Chinesische Motive in Gold-, Silber- und Emailmalerei wie Pagoden oder Chinesen in kleinen Barken zieren inmitten üppiger Blütenpracht den eingezogenen Bauch. Blattranken und in kleinen Kartuschen gesetzte Blumenbouquets fügen sich in die klar abgegrenzten Formen des Gefäßes ein und unterstreichen seine Gestalt. Zu der Flasche gehört ein tulpenförmig geschwungener Becher (Inv. Nr. 55/65), der in Farbigkeit und Dekor ein passendes Ensemble zur Flasche bildet. Die Auswahl der Bildmotive folgt einer Richtung in der europäischen Kunst, die sich an chinesischen oder anderen ostasiatischen Vorbildern orientierte und besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert populär war. Sogenannte »Chinoiserien« entsprachen einer anhaltenden China-Begeisterung. Diese speiste sich sowohl aus Interesse am Exotismus als auch aus der Vorstellung eines friedlichen und kultivierten Riesenreiches, dessen große Bevölkerung bis in einfache Schichten literarisch und philosophisch gebildet war. Das tulpenförmig geschweifte Teeglas verbinden wir mit der Türkei und türkischstämmigen Landsleuten. Auch in der Türkei selbst gilt das Glas als genuin türkisch. Kaum ein Teehaus oder ein Heim, indem dieses Glas nicht auf den Tisch gestellt wird. Beleuchtet man seine Geschichte, so stößt man auf ein gleichförmiges Glas, dessen Geburtsstunde - wie die des Tees selbst - in andere Weltgegenden fällt. Im Zuge der Orient-Mode wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Glas in Wien von einem der bekanntesten Handelshäuser für Glaswaren, »J. & L. Lobmeyr«, entworfen. Für seine weltweite Verbreitung sorgten seit dem frühen 19. Jahrhundert böhmische Glashütten, mit denen das Handelshaus enge wirtschaftliche Beziehungen zum Orient unterhielt. Vor allem das rubinrot getönte Glas als ein Charakteristikum böhmischer Glashütten erfreute sich im Nahen Osten so großer Beliebtheit, dass es heute längst zum eigenen Kulturgut zählt, ja sogar mit einer für rein orientalisch gehaltenen Genusskultur assoziiert und entsprechend nachgeahmt wird. Seien es Gläser, Karaffen, Leuchter, Teile von Wasserpfeifen oder Flakons: Der böhmische Exportschlager ist als Einrichtungsgegenstand in fast jedem orientalischen Haushalt vertreten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erscheint die vorliegende Flasche mit dazugehörigem Becher im neuen Licht. Manch ein Alltagsgegenstand, den wir heute als »orientalisch« kennen, entwickelte sich innerhalb nur eines Jahrhunderts aus der Orient-Faszination Europas zu einem symbolträchtigen Gegenstand kultureller Identität im Orient selbst. Bei böhmischen Glaserzeugnissen und ihren Imitationen handelt es sich demnach wie bei der artifiziellen Tulpe um eines der typischsten transkulturellen Produkte im erweiterten euromediterranen Raum. Dass der »Orient« einst China und Japan einschloss, heute aber vorwiegend die islamische Welt bezeichnet, ändert nichts an dem Sachverhalt. Literatur: Schoole Mostafawy, Woraus Şerbet eingeschenkt und Tee getrunken wird. In: Badisches Landesmuseum Karlsruhe. 100 Objekte - 100 Geschichten. Dem Fremden im Eigenen auf der Spur, hrsg. vom Badischen Landesmuseum, bearb. von Schoole Mostafawy, Karlsruhe 2014, S. 99, Kat. 74; Jakob Möller, Identifikation und Identitätsstiftung mit Einrichtungsgegenständen, In: Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute (= Ausstellungskatalog zur Sonderausstellung im Badischen Landesmuseum, Museum beim Markt 2010/2011), hrsg. von Schoole Mostafawy und Harald Siebenmorgen, Stuttgart 2010, S. 152, Kat. 179.
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Glas